Unser kürzlicher Besuch in China hat uns nochmals die unglaubliche Dynamik vor Augen geführt, mit der sich Asien verändert. Wir müssen uns bewusst sein, dass sich ein paar Milliarden Menschen und ihr Umfeld mindestens doppelt so schnell verändern, als wir das tun. Dadurch schmilzt auch der Vorsprung der westlichen Welt rasant dahin. Wir haben in der Schweiz die Mittel in der Hand diesen Vorsprung zu verteidigen.
Es war etwas ungemütlich und wir irgendwie etwas verlegen dazu. Wir, als ganze Familie, auf dem Rand des Familienbettes sitzend. Das wunderbare Essen wurde uns auf einem kleinen Beistelltisch serviert. Eine unglaubliche Erfahrung. Gut war’s, aber nicht wirklich angenehm.
Das war im Jahre 2002 bei unserem Abschied aus China, in der Wohnung unserer damaligen Haushälterin. Sie, wir nannten sie Mede, hatte uns zum Dank für unsere gegenseitige Achtung und Wertschätzung in Ihre Einzimmerwohnung mit kleiner Küche eingeladen. Mit dabei war ihr Mann und ihrer Tochter. Heizung gab’s keine und das Haus machte den Eindruck, hundert Jahre alt zu sein.
Bei unserem kürzlichen Wiedersehen in Shanghai sahen wir eine ganz andere Welt!
Nicht nur ist der neue Wohnblock kaum 3 Jahre alt, auch hat die Wohnung nun 3 Zimmer und eine moderne Küche. Das Essen war wie damals ausgezeichnet, aber das Ambiente um einiges angenehmer. Das lag nicht nur am Champagner, der kredenzt wurde, sondern auch am grossen Familientisch, an dem nun Mede, ihr Mann, die Tochter inklusive Schwiegersohn und vierjähriger Tochter zusammen mit uns Platz hatten.
Mede und ihr Mann mit unserem Sohn und dem Grosskind von Mede
Wir fuhren übrigens reibungslos und effizient mit der U-Bahn in den Vorort, wo ihre Wohnung liegt. Das Streckennetz der U-Bahn – davon existierten im Jahre 2002 gerade mal ein paar Kilometer – ist in der Zwischenzeit über 540 Kilometer lang!
Da Mede während unserer Zeit in Shanghai jeden Tag mit unklimatisiertem Bus zu unserem Haus fuhr und das umständlich und unzuverlässig war, kauften wir ihr kurzerhand ein Fahrrad. Das erste und einzige in ihrer Familie.
Bei unserer Ankunft an der U-Bahnstation zehn Jahre später wurden wir nicht nur von Mede’s Tochter und ihrem Mann stolz mit einem nigelnagelneuen BMW 525 abgeholt, sondern am Ende des Abends von Mede und ihrem Mann mit ihrem eigenen, neuen Auto zurück an die Station gebracht.
In nur etwa 10 Jahren ist hat sich Medes Familie aus ärmlichsten Verhältnissen zum Mittelstand hochgearbeitet und unterscheidet sich in keiner Weise von einer schweizerischen Mittelstandsfamilie.
Shanghai: Blick von Puxi nach Pudong
Die Gespräche am Familientisch waren spannend. Sie illustrierten einmal mehr die unglaublichen Veränderungen, die sich in den letzten 15 Jahren in China manifestiert haben. So erfuhren wir, dass die durchschnittliche Familie mindestens einmal, aber besser zweimal pro Jahr ins Ausland fährt. Das gehört zum guten Ton. Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass bis vor 10 Jahren kaum ein Chinese einen Pass besass.
Wenn ich meine Mitarbeiter an eine Konferenz oder eine Schulung ausserhalb Chinas schickte, musste jeder von ihnen zuerst einen Pass beantragen. Keiner war vorher jemals im Ausland. Und die Firma haftete für den Fall, dass der Mitarbeiter nicht mehr nach China zurückkehrte.
Die Kommunistische Partei Chinas (CPC) hat kürzlich die von Deng Xiaoping im Jahre 1979 eingeführte “Ein-Kind-Politik” gelockert. So dürfen nun Paare, bei denen ein Teil ein Einzelkind ist – was praktisch alle sind – jetzt offiziell ein zweites Kind haben.
Aber das junge Ehepaar am Tisch erklärte uns, dass sie nie und nimmer daran denken, ein zweites Kind zu haben. Das sei nicht nur mit viel Arbeit verbunden und behindere die Karriere, sondern ist vor allem teuer. Denn wer etwas auf sich hält, der schickt sein Kind auf eine Privatschule. Das kann leicht bis zu vierzigtausend Franken pro Jahr verschlingen. Obschon sich in China die Löhne seit unserer Abreise je nach Position und Branche bis verzwanzigfacht haben, ist das sehr viel Geld.
Die kleinen Anekdoten zeigen, wie unglaublich schnell die Veränderungen in Asien und in China im Speziellen ablaufen.
Was bei uns bis zu 2 Generationen gedauert hat, läuft hier in 10 Jahren ab.
Diese unglaubliche Dynamik – wir sind uns einig, dass nicht alles nur positiv ist – führt aber dazu, dass sich unser Vorsprung gegenüber dieser aufstrebenden Region in vielen Bereichen über kurze Zeit verringert.
Wir müssen also alles daran setzen, den verbleibenden Vorsprung zu verteidigen.
Dazu braucht es vorzüglich ausgebildete, motivierte BürgerInnen, Rahmenbedingungen, die Unternehmertum und Innovation fördern und eine Gesellschaft, die den Bürgern möglichst viel Freiheit und Selbstverantwortung lässt.
Ich bin zuversichtlich, dass die Schweiz in diesem Wettrennen mithalten kann – aber wir müssen die Weichen jetzt richtig stellen!
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